Der Begriff „Digitalität“ begegnet uns heute sowohl in öffentlichen Debatten als auch in der Wissenschaft als allgegenwärtiges Konzept. Doch was genau meinen wir eigentlich, wenn wir von Begriffen wie „digital“, sprechen? Für Historiker*innen, die sich mit digitalen Methoden und Quellen beschäftigen, ist diese Frage alles andere als trivial. Digitalität beschreibt nicht nur die technischen Eigenschaften digitaler Medien, sondern auch die kulturellen und epistemischen Veränderungen, die durch das Digitale möglich werden. Im Folgenden soll dieser Vielschichtigkeit des Begriffes nachgegangen werden.
Digital vs. Analog
Um den Begriff „Digitalität“ fassen zu können, ist es zunächst notwendig, die Bedeutung der Eigenschaft „digital“ in technisch-physikalischer Hinsicht zu klären und den Unterschied zu dem Analogen herauszuarbeiten.

Ein Objekt ist „digital“, wenn es diskret ist, also aus abgegrenzten, abgestuften Einheiten besteht. Im Unterschied dazu ist ein „analoges“ Objekt kontinuierlich, also ohne feste Abstufungen beschaffen.
Beispiel anhand der Schwarz-Weiß-Fotografie
Um diese abstrakte Unterscheidung besser verstehen zu können, ist es hilfreich, den Unterschied an einem konkreten Medium nachzuvollziehen. Dafür greifen wir auf das Beispiel von Schwarz-Weiß Fotografien zurück, das John Haugeland in seinem Aufsatz „Analog and Analog“ (1981) ausführt.
Die analoge Schwarz-Weiß-Fotografie bildet ein kontinuierliches Spektrum von Grautönen auf einem materiell definierten Raum ab. Es gibt keine festen Anzahl von Grauwerten, die ein spezifischer Punkt des Bildes annehmen muss. Jeder Punkt im Bild kann theoretisch jeden beliebigen Grauwert annehmen. Dies Übergänge sind somit fließend.
Im Unterschied dazu ist bei einer digitalen Fotografie der Bildraum durch ein Raster strukturiert. Jedes Feld dieses Rasters (ein Pixel) besitzt eine festgelegte, einheitliche Größe und bildet damit eine diskrete Einheit. Jedes Pixel kann genau einen bestimmten Grauwert annehmen, der aus einem definierten Set möglicher Werte stammen muss.1 Bei einer typischen 8-Bit-Graustufen-Darstellung stehen beispielsweise exakt 256 verschiedene Grautöne zur Verfügung.

Digitalisierung
Aus diesem Beispiel lässt sich gut ableiten, was „Digitalisierung“ in medialer Hinsicht – also die Überführung eines analogen Objekts in ein digitales Objekt – bedeutet. Die Philosophin Sybille Krämer fasst es prägnant zusammen: „‚Digitalisierung‘ ist Diskretisierung: Ein Kontinuum wird in einzelne Elemente zerlegt, die Elemente codiert, so dass sie zu neuartigen Strukturen rekombiniert werden können.“2
Wenn wir uns diesen Prozess erneut am Beispiel der Digitalisierung einer analogen Fotografie vor Augen führen, wird deutlich, dass das aus dem analogen Original hervorgegangene digitale Objekt kein identisches Abbild ist, sondern etwas Eigenes mit gänzlich anderen materiellen Eigenschaften darstellt.3
Der Begriff der Digitalisierung wird jedoch nicht nur für den konkreten Vorgang der medialen Umwandlung verwendet. Der Kultur- und Medienwissenschaftler Felix Stalder beispielsweise hebt hervor, dass mit dem Begriff ebenfalls die konzeptionellen Veränderung in den Prozessen gefasst werden müssen, die mit „diesen [digitalen] Medien organisiert werden“. Er betont die kulturelle Ebene der Digitalisierung, in der sich eine technische und kulturelle Infrastruktur für die Erzeugung und den Umgang mit dem Digitalen herausbildet.4
Diese konzeptionelle Dimension der Digitalisierung zeigt sich in der Entwicklung neuer Gebrauchslogiken, in denen die Möglichkeiten der Digitalität explizit genutzt werden und so einen grundlegenden Wandel in den Formen des Wahrnehmens, Handelns und Denkens bewirken.5
Perspektiven auf Digitalität
An diesen beiden Bedeutungen des Begriffs Digitalisierung, wird bereits deutlich, dass sich auch Digitalität aus verschiedenen Perspektiven untersuchen und begreifen lässt. So wie die Digitalisierung sowohl in technisch-medialer als auch in kulturell-konzeptioneller Hinsicht untersucht werden kann, gilt dies auch für den Begriff Digitalität.
Abhängig von der Perspektive des Zugangs unterscheiden sich die Definitionen und Konzepte zu dem Begriff „Digitalität“ und heben unterschiedliche Aspekte des Phänomens hervor.
Mediale Digitalität
Die Ebene der „medialen Digitalität“ konzentriert sich auf die technisch-materiellen Eigenarten digitaler Medien.
So werden im Digitalen Informationen im Unterschied zum Analogen nicht in einem einzelnen materiellen Objekt, sondern in einer Informationsinfrastruktur gespeichert. Da das digitale Objekt somit nicht an ein spezifisches physisches Trägermedium gebunden ist, kann es gleichzeitig an mehreren Orten existieren. Die digitalen Daten können unbegrenzt und verlustfrei reproduziert werden und es ist möglich, sie zu verändern, ohne dass dies sichtbare Spuren am Datenobjekt hinterlässt. Diese Eigenschaft unterscheidet sie grundlegend von analogen Medien, bei denen jeder Kopier- oder Bearbeitungsvorgang zu qualitativen Veränderungen im Original bzw. der Kopie führt, welche die Verarbeitung sichtbar machen.
Des Weiteren sind bei digitalen Daten die Daten- und Präsentationsebene voneinander getrennt. Der Mensch benötigt eine Maschine, um die digitalen Daten zu dekodieren und für ihn interpretierbar zu machen. Unterschiedliche mediale Formen wie Bilder, Texte oder Töne, werden dabei auf der Datenebene in gleicher Form – letztlich in Binärcode – kodiert. Diese Trennung von Daten- und Präsentationsebene ermöglicht es, dieselben Daten auf verschiedenen Weise darzustellen zu lassen.6

len und Informationen. Abbildung von Torsten Hiltmann.
Aus diesen materiellen Eigenschaften digitaler Daten entspringen neue Möglichkeiten der Nutzung, Produktion, Reproduktion und Organisation von Informationen. Es kommt zur Entwicklung neuer kultureller Praktiken, welche zu neuen Arbeits-, Denk- und Wahrnehmungsweisen führen. Das Neue, was auf diese Weise im Prozess von Digitalisierung entsteht, kann als konzeptionelle Digitalität begriffen werden.7
Konzeptionelle Digitalität
Konzeptionelle Digitalität begreift demnach spezifische kulturelle, soziale und epistemologische Praktiken auf Basis der spezifischen materiellen Eigenschaften von Digitalität. So ermöglichen digitale Daten beispielsweise die maschinelle und algorithmische Verarbeitung von Informationen in großen Umfang.8
Einen systematisierenden Versuch diese kulturellen Implikationen zu erfassen und damit eine „Kultur der Digitalität“ zu beschreiben, unternahm der Kultur- und Medienwissenschaftler Felix Stalder. Er arbeitet drei Kernaspekte einer digitalen Kultur heraus: Referenzialität, Gemeinschaftlichkit und Algorithmizität. Mit dem Begriff Referenzialität bezeichnet Stalder die kreative Weiterverarbeitung bestehenden kulturellen Materials. Unter Gemeinschaftlichkeit versteht er, dass es einen kollektiven Rahmen zur Bedeutungsbildung gibt. Algorithmizität zuletzt meint, die Möglichkeit zu automatisierten Verfahren, um Daten zu strukturieren und Entscheidungen zu automatisieren.9
Die Perspektive der konzeptionellen Digitalität macht damit sichtbar, dass die Digitalisierung nicht nur eine technische-mediale, sondern ebenso eine kulturelle Transformation darstellt.
Die beiden Ebenen der medialen und der konzeptionellen Digitalität heben verschiedene Aspekte des Phänomens hervor. Die mediale Perspektive behandelt die materiellen und technischen Eigenarten der Digitalität, während die konzeptionelle Perspektive Veränderungen in Arbeitsweisen, der Art zu Denken und der Wahrnehmung hervorhebt.
Um das Phänomen „Digitalität“ in seiner Komplexität zu erfassen, müssen beide Ebenen und ihre Wechselwirkungen betrachtet werden. Die medialen Eigenschaften der Digitalität bedingen konzeptionelle und kulturelle Veränderungen, welche wiederum auf die mediale Beschaffenheit zurückwirken können.
- John Haugeland (1981), Analog and Analog in: Philosophical Topics, Vol. 12, No. 1, Functionalism and the Philosophy of Mind, pp. 213-225, S. 222. ↩︎
- Sybille Krämer (2020), Handout zum Vortrag Kulturgeschichte der Digitalisierung, URL: https://www.hiig.de/wp-content/uploads/2020/01/Kulturgeschichte-der-Digitalisierung_Sybille-Kra%CC%88mer_Februar-2020.pdf. ↩︎
- Torsten Hiltmann (2022), Vom Medienwandel zum Methodenwandel, S. 32. ↩︎
- Felix Stalder (2021): Was ist Digitalität?. In: Hauck-Thum, U., Noller, J. (eds) Was ist Digitalität?. Digitalitätsforschung / Digitality Research. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg, S. 3f.. ↩︎
- Torsten Hiltmann (2022), Vom Medienwandel zum Methodenwandel, S. 28. ↩︎
- Ebd. S. 25f. ↩︎
- Ebd. S. 28. ↩︎
- Ebd. S. 26. ↩︎
- Felix Stalder (2021): Was ist Digitalität?. In: Hauck-Thum, U., Noller, J. (eds) Was ist Digitalität?. Digitalitätsforschung / Digitality Research. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg, S. 5f.. ↩︎
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Digital History Berlin (Redaktion) (22. Oktober 2025). Mareike Schäffer: Analog, digital, und darüber hinaus – die Komplexität der Digitalität. Digital History Berlin. Abgerufen am 10. November 2025 von https://doi.org/10.58079/1505p


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