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Anica Skibba: Mapping Tourism: Wie strukturieren Baedeker-Reiseführer die räumliche Wahrnehmung Berlins? Eine Analyse mit georeferenzierten Daten am Beispiel des Jahrgangs 1921

Reiseführer bilden eine klassische Quelle innerhalb der historischen Forschung. Mit der Kommerzialisierung von Expeditionen und Tourismus im 19. Jahrhundert erlebte auch der Reiseführer eine Hochkonjunktur. Forschende des 19. Jahrhunderts schöpfen daher aus einem reichen Quellensortiment. Im beginnenden 20. Jahrhundert hob sich vor allem „der Baedeker“ als dominierender Reiseführer in Deutschland – und auch darüber hinaus – hervor. „Der Baedeker“ war das Synonym für den Reiseführer des frühen 20. Jahrhunderts, schreibt David M. Bruce (vgl. Bruce 2010, S. 93).

Eine quellenkritische Analyse von Reiseführern gibt Aufschluss über Tourismusgeschichte, Konsumverhalten sowie Sozial- und Kulturgeschichte. James Koranyi beschreibt Reiseführer sogar als „the very fabric of societies“ (Koranyi 2021, S. 56). Koranyis holistischer Ansatz stützt sich auf die Untersuchungen des Historikers Rudy J. Koshar, indem er dem Reiseführer einen auffällig umfassenden Aussagewert zuschreibt: „Koshar, by contrast, moved away from a deterministic understanding of travel guides as constrained by market behaviour towards an appreciation of the rich cultural history that lies behind these sources.“ (Koranyi 2021, S. 56). Weiter führt Koranyi aus: „‘What ought to be seen’ consisted of places and sites that reflected the societies on display, the travellers and their milieu, and the places and cultures within which these guides were produced.“ (Koranyi 2021, S. 56).

Der erweiterte Interpretationsrahmen von Reiseführern im Verständnis von Koranyi und Koshar bildet den Ausgangspunkt meiner Recherche. Im Rahmen meiner Masterarbeit möchte ich den Quellenwert von Reiseführern am Beispiel des Baedeker-Reiseführers Berlin und Umgebung von 1921 untersuchen. Im Mittelpunkt stehen dabei die im Reiseführer erwähnten Orte, allem voran Sehenswürdigkeiten, Bahnlinien und Hotels bis hin zu Annoncen. Sie sind sowohl Entitäten als auch Orte. Diese sollen georeferenziert und in Form von Mapping visualisiert werden.

Die Qualität meiner Arbeit liegt sowohl in der Vorbereitung und Aufbereitung der Daten – also der quellenkritischen und quellennahen Bearbeitung der Daten als Retrodigitalisat –, als auch in ihrer Visualisierung und Analyse.

Die ausgewiesenen Entitäten und Orte sollen auf der Berliner Stadtkarte von 1921 wiedergegeben werden. Für die historische Forschung stellt das Mapping und der Raumbezug eine jüngere Theorie dar, die ursprünglich aus der Geographie und Sozialwissenschaft stammt. Klassisch betrachtet handelt es sich beim Mapping um eine quantitative Methode. Der Transfer vom qualitativen (Reiseführer-)Text zum Bild auf Basis quantifizierter Daten ist ein methodischer Schritt, der ebenfalls epistemologisch begründet und eingeordnet werden muss. William Rankin sieht in dieser „Verbilderung“ eine weitere Dimension des Verstehens: „What matters isn’t just the methods used to create images, but how images ultimately shape our understanding of the world.“ (Rankin 2020, S. 313).

Ein zentrales Tool für dieses Zweck ist GIS (Geografisches Informationssystem). Ursprünglich aus der Geographie stammend, wird es innerhalb der Geisteswissenschaften vor allem in der Archäologie eingesetzt. Die Adaption auf ein klassisch qualitatives Feld wie die Geschichtswissenschaft muss daher sensibel und zielgerichtet erfolgen. Denn Johanna Drucker kritisierte bereits 2015 „The digital humanities have adopted conventions of information visualization and user interface that come from disciplines whose epistemological premises are fundamen­tally at odds with humanistic methods.“ (Drucker 2015, S. 238).

Dennoch birgt GIS wesentliche Vorteile, die auch für die historische Forschung produktiv nutzbar sind: mit GIS können Daten strukturiert werden, sie können visualisiert werden, sie können räumlich dargestellt werden und sie sind für eine weitere Nachnutzung integrierbar.

Diese räumliche Darstellbarkeit mittels GIS möchte ich für den Baedeker-Reiseführer nutzen, um eine Arbeitsgrundlage zu schaffen, die es Forschenden ermöglicht, von einem individuellen Konzept einer „mentalen Map“ zu einem gemeinsamen Raumverständnis innerhalb der dargelegten Erkundungsrouten im Baedeker zu gelangen. Für die Umsetzung dieser Vorgehensweise nutze ich GIS und LLM, mit dem Ziel eine nachnutzbare Arbeitsvorlage für weitere Baedeker-Werke herzustellen.

Literatur

Drucker, Johanna: Graphical Approaches to the Digital Humanities. In A New Companion to Digital Humanities, hrsg. von S. Schreibman, R. Siemens, J. Unsworth, Oxford 2015, S. 238–250, DOI: https://doi.org/10.1002/9781118680605.ch17 (zuletzt aufgerufen: 24.04.2025).

Bruce, David M.: Baedeker: The perceived ‘inventor’ of the formal guidebook-a bible for travellers in the 19th century, in: Giants of Tourism, hrsg. von Butler/Russell, Oxford 2010, S. 93–110, DOI: https://doi.org/10.1079/9781845936525.0093 (zuletzt aufgerufen: 21.04.2025).

Koranyi, James: Travel Guides, in: Doing Spatial History, hrsg. von R. Bavaj, K. Lawson, B. Struck, Abingdon 2021, S. 56 DOI: 10.4324/9780429291739, S. 56–72 (zuletzt aufgerufen: 21.04.2025).

Rankin, William: How the Visual is Spatial: Contemporary Spatial History, Neo-Marxism, And the Ghost of Braudel, in: History and Theory, Bd. 59 (09/2020), S. 313, DOI: https://doi.org/10.1111/hith.12162 (zuletzt aufgerufen: 24.04.2025).

Vortrag im Rahmen des „Digital History“-Forschungskolloquiums
Zeit: Mittwoch, 30. April 2025, 16-18 Uhr
Ort: Zoom-Konferenz (Zugang auf Anfrage oder via Mailingliste)


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Digital History Berlin (Redaktion) (28. April 2025). Anica Skibba: Mapping Tourism: Wie strukturieren Baedeker-Reiseführer die räumliche Wahrnehmung Berlins? Eine Analyse mit georeferenzierten Daten am Beispiel des Jahrgangs 1921. Digital History Berlin. Abgerufen am 12. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13twb


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